Therapie

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08.05.2021

Verunsicherung und Angst als Pandemie-Nebenwirkungen

Verunsicherung und Angst als Pandemie-Nebenwirkungen

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Verunsicherung und Angst als Pandemie-Nebenwirkungen

Viele Menschen haben derzeit Angst, eine Physiotherapie-Praxis aufzusuchen. Die Sorge, sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen mit dem Covid-19-Virus anzustecken, ist groß. Vor allem fürchten sich diejenigen, die zu den Risikogruppen gehören. Doch genau die sollten doch weiterhin in die Therapie, sollten dann auch wieder ins Training kommen, sobald dies wieder möglich ist.

Am wichtigsten war es, in den vergangenen Monaten als Praxis-Inhaberin gut informiert zu sein, gleichzeitig allerdings schnell und flexibel zu agieren – auf neue Verordnungen und Regeln, die sich immer wieder änderten. Was gestern noch aktuell war, gilt morgen vielleicht schon nicht mehr. Die Themen reichen dabei von den aktuellen RKI-Zahlen und den damit verbundenen, regionalen Möglichkeiten oder Einschränkungen über die Hygienevorgaben bis hin zu den Impfungen.

Parallel dazu sind für Unternehmer die wirtschaftlichen Themen relevant und alles andere als unerheblich. Es gilt, sich für die Zukunft aufzustellen, und unseren Patienten sowie Kunden einen Ausblick zu geben. Gleichzeitig sind Zuversicht und Sicherheit ebenso für die Mitarbeiter wichtig, um mit den Herausforderungen der Ist-Situation gut umzugehen.

Die Ist-Situation aufseiten der Patienten

In der Praxis bemerken wir sehr stark, wie Kunden und Patienten mit der aktuellen Situation hadern. Die Gespräche während der Therapie haben sich verändert. Aktuell steht nicht mehr die Erkrankung oder das allgemeine Befinden im Fokus, sondern die Themen rund um Corona. Es schwingt sehr viel Unsicherheit, aber auch viel Unwissenheit mit. Das schürt Ängste. Während die einen große Angst haben zu erkranken und sich völlig isolieren, sind andere einfach nur in ihrer Hilflosigkeit erstarrt und fühlen sich ausgeliefert. Nicht wenige kämpfen mit depressiven Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen. Wieder andere sind wütend, hängen in einer Negativspirale fest und lassen gern ihrem Ärger Luft. Insgesamt nimmt Corona sehr viel Raum ein und scheint den Alltag zu dominieren.

Die veränderten Lebensumstände führen zudem vermehrt zu gesundheitlichen Problemen. Das Leben im Homeoffice führt dazu, dass sich viele nur noch innerhalb ihres Wohnraums bewegen, aber kaum noch darüber hinaus. Oftmals ist die Arbeitsplatzsituation zu Hause suboptimal, sodass muskuläre Probleme aufgrund des dauerhaften, zu langen Sitzens und einer schlechten Haltung in den Vordergrund rücken.

Mehr Stress und weniger Ausgleich

Wer sonst nach Feierabend zum Sport ging, körperlich aktiv war und sich einen Ausgleich zum Berufsalltag schuf, der muss sich heute im Wohnzimmer aufraffen, ein Work-out durchzuführen oder draußen maximal zu zweit eine Runde zu laufen. Die stark eingeschränkten sportlichen Möglichkeiten treffen nicht jedermanns Geschmack. Der Bewegungsmangel führt nicht nur zur Gewichtszunahme, sondern ruft auch körperliche Defizite hervor.

Etliche Branchen sind seit Langem gänzlich oder teilweise in Kurzarbeit. Auch hier werden Unsicherheiten und Existenzängste hervorgerufen. Kaum einer weiß, wie es um die Zukunft des Arbeitsplatzes steht, ob und wann wieder normal gearbeitet werden darf. Mangelnde Perspektive und finanziellen Schwierigkeiten sorgen für manch schlaflose Nacht. Wieder andere, insbesondere in den systemrelevanten Berufen, wie Pflege und Einzelhandel, haben einen sehr stressigen Arbeitsalltag und sind mehr denn je gefordert. Es kommt immer mal wieder aufgrund von Quarantänebestimmungen zu Personalausfällen, Dienste müssen von anderen zusätzlich übernommen werden.

Die Hygienebestimmungen führen andererseits zu erhöhtem Aufwand. Neben der angestiegenen körperlichen Belastung werden Patienten und Kunden immer dünnhäutiger. Diese Emotionen in der Form und Häufigkeit sind neue Herausforderungen in der Therapie, wobei die psychosozialen Aspekte schon immer eine Rolle spielten. Nun ist es jedoch deutlich mehr geworden und beinah jeder hat seine eigene Corona-Geschichte im Gepäck.

Der Umgang mit angstvollen Patienten – ein Beispiel aus der Praxis

Vorgang: Eine Patientin war kürzlich bei uns, um ihre Trainingsmitgliedschaft zu kündigen. Obwohl das Training für sie medizinisch indiziert ist und sie auf Basis von KGG eine Verordnung hat, wollte sie unsere Leistungen nicht weiter in Anspruch nehmen. Hintergrund: Die Patientin steht kurz vor der Rente. Ihre Angst vor einer Erkrankung an Covid-19 ist so groß, dass sie sich komplett isoliert hat. Ihr einziger Kontakt besteht zu einer Nachbarin. Dass die Therapie, insbesondere Krankengymnastik am Gerät, für ihre Gesundheit sehr wichtig ist, dessen ist sie sich sehr bewusst. Sie weinte, als sie ihre Termine absagte.

Herausforderung: Für unseren Sportstudenten, der an diesem Tag am Empfang eingesetzt war, war dies schon eine besondere Situation. Wir erläuterten ihr, mit welchen Hygienemaßnahmen wir in Therapie und Training arbeiten und zeigten ihr im Detail auf, wie wichtig es ist, das Training für ihre Gesundheit fortzuführen. Sie war sich dessen durchaus bewusst, zumal sie bemerkt, dass ihre Muskulatur schwächer wird und das Training fehlt. Doch die Angst vor einer Covid-Erkrankung war zu groß.

Lösung: Schließlich stellten wir ihr ein Eigenübungsprogramm zusammen und luden die Trainings-App auf ihr Smartphone. Anpassungen an das Programm stimmen wir telefonisch ab. Die Dame ist sehr dankbar, dass wir ihre Bedürfnisse ernstgenommen und eine Lösung für sie gefunden haben. Allein das Gespräch bedeutete ihr sehr viel! Sobald sie sich wieder sicherer fühlt und sich die Lage entspannt, wird sie die Leistungen auch wieder vor Ort wahrnehmen.

Hamm war nun mehrfach Risikogebiet mit sehr hohen Inzidenzzahlen. Das ist deutlich am Verhalten in der Bevölkerung zu spüren. Auf der anderen Seite erfahren wir auch viel Zuspruch durch Patienten, die unsere Leistungen gern in Anspruch nehmen und ihnen Halt in dieser besonderen Zeit geben. Viele sind froh, dass sie weiterhin etwas für sich und ihren Körper tun können. Insbesondere ältere Menschen sind dankbar, regelmäßig zur Therapie zu kommen. Sie verleiht ihrem Alltag auch Struktur. Sowohl die Bewegung als auch die Gespräche tragen zu ihrem Wohlbefinden bei. Um gesund zu altern, seine Lebensqualität und Selbstständigkeit langfristig aufrecht zu erhalten, sind regelmäßige Therapie und Training von Bedeutung.

Herausforderung an die Therapeuten: der Verunsicherung entgegentreten

Neben der therapeutischen Behandlung ist auch immer wieder die Kommunikation mit Kunden und Patienten essenziell. Manchmal gelingt es allein schon durch eine bewusste Gesprächsführung, die Negativspirale aufzubrechen. In manchen Fällen reicht die Frage aus, was heute Schönes passiert sei. Manch einer ist überrascht und muss erst überlegen, bevor er antwortet. Da derzeit die Erlebnisse im übersichtlichen Rahmen stattfinden, sind es häufig die kleinen Momente, die plötzlich an Wert gewinnen. Dies zu reflektieren hat gleichzeitig viel mit Achtsamkeit zu tun. Das führt häufig dazu, dass der Patient schon ein wenig entspannt und die Therapie an Compliance gewinnt.

Empathie ist essenziell für die Behandlung, um auf die Patienten bestmöglich einzugehen. Allerdings ist es dennoch wichtig, ein professionelles Nähe-Distanz-Verhalten zu wahren. Empathie bedeutet nicht, den Patienten zwangsläufig in seiner Einstellung zu bestärken, sondern ihn gegebenenfalls auch zu motivieren, etwas an seiner Situation zu verändern, in einem ihm möglichen Rahmen. Hier haben Aufklärung und Beratung einen hohen Stellenwert. Das Verständnis von Therapie und Training für die Gesundheit des eigenen Körpers motiviert zur Aktivität und sich nicht passiv seinem Leid hinzugeben. Auch ein Perspektivwechsel eröffnet oftmals neue Möglichkeiten und Einsichten.

Herausforderung an die Unternehmensführung: offene Kommunikation

Für uns ist der Austausch im Team auch untereinander sehr wertvoll. Wir profitieren davon, dass wir unterschiedliches Know-how und Erfahrungen mitbringen. Vieles geschieht selbstständig untereinander. Grundsätzlich steht meine Tür für mein Team offen, weshalb das ein oder andere schon auf dem kurzen Weg abgestimmt werden kann. Anderes thematisieren wir wiederum in unseren regelmäßigen Team-Sitzungen.

Aufgrund der besonderen Situation führten wir ein Strategie-Meeting durch und zogen einen externen Experten hinzu. Dr. Matthias Obinger, Professor und Studiengangsleiter der dba, war bei uns zu Gast und hat unter Corona-Bedingungen ein Seminar zum Thema „Kommunikation und Teambildung“ bei Caldea abgehalten.

Die Begeisterung, die wir sonst von unseren Studierenden nach den Präsenzphasen kennen, hat sich schnell auf unser gesamtes Team übertragen. Die vielen praktischen Übungen und Beispiele haben ein völlig neues Bewusstsein für Kommunikation und die Kraft der Wörter im Hinblick auf das Senden und Empfangen von Botschaften geschaffen. Das Gelernte konnten wir unmittelbar in unseren Alltag integrieren und Gespräche auf diese Weise positiv beeinflussen.

Ein Experiment hat schlussendlich bewiesen, dass man im Team stärker ist als jeder für sich. Es war es ein sehr motivierendes Erlebnis und eine großartige Erfahrung. Was uns als Team bestärkt und vielleicht noch ein Stück nähergebracht hat. Auch Wochen später zehren wir von dem Seminar und erleben immer wieder Aha-Momente. Ich bin sehr dankbar über die Kooperation mit der Deutschen Berufsakademie in Baunatal, an der unsere Studierenden ein duales Sportstudium absolvieren.

Daniela Schindler


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